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9. Der Spuk am Großen Stiefel

In dem felsigen Waldgelände zwischen der Blies und der Saar, etwa eine Wegstunde von St. Ingbert, ragt ein steiler, seltsam gestaltet Bergrücken. Er heißt von altersher der Große Stiefel. In grauer Heidenzeit hat es dort Riesen gegeben. Der schrecklichste von ihnen war der Kreuzmann. Wie er zu diesem Namen gekommen ist, scheint ein düsteres Geheimnis zu sein; denn mit dem christlichen Kreuze hatte er gewiss nichts zu schaffen. Er war ein Menschenfresser. Hoch oben auf dem Großen Stiefel stand sein Turm, worin er hauste. Am Berghang ragt noch heute der ungeheure Felsentisch, worauf der die geschlachteten und gebratenen Opfer verzehrte. Wenn er Hunger bekam, stieg er in die Täler und holte sich aus den Hütten jedes Mal ein oder zwei Menschlein. Manchmal erwischte er auch mehr. Dann sperrte er die übrig bleibenden in einen aus Fichtenstämmen gezimmerten Käfig. Oft hörte man meilenweit im Lande das Geschrei der Unglücklichen, wenn er einen von ihnen herauszog für seine grausige Mahlzeit. Und jedes Mal ertönte darauf sein Hohngelächter. „Horch, wie meine Vögel pfeifen!“ höhnte der Unhold. Nach dem Mahle verschwand das Ungeheuer in seinem Turm, und wer durch den Wald ging, konnte ihn schnarchen hören. So trieb er es lange Zeit, und des Jammers unter den Bauern des Landes schien kein Ende zu sein. Schließlich aber schlossen sie sich in ihrer Verzweiflung zusammen, um dem Menschenfresser zu Leibe zu gehen. Er hatte gerade ein paar Kinder verspeist und schnarchte in seinem Bau lauter denn je. Da kamen mit einemmal an tausend Bauern der Berg herauf, und jeder trug ein Bündel Reisig oder Stroh. Im Augenblick hatten sie rund um den Turm einen großen Scheiterhaufen aufgeschichtet und ihn angezündet. Es gab eine Flamme, als ob der ganze Berg in Feuer aufginge. Als der Qualm in die Turmfenster eindrang und dem Kreuzmann in die Nase stieg, musste er gewaltig niesen. Das klang so fürchterlich, dass die Leute, was sie konnten, den Berg hinunterliefen. Es war aber auch höchste Zeit. Der Kreuzmann war vom Niesen wach geworden. Er sprang durch die Flamme aus dem Turm heraus. Wutschnaubend ergriff er seinen Wetzstein und schleuderte ihn den Fliehenden hinterher. Der sauste über ihre Köpfe hinweg in das Dörfchen Rentrisch, das am Fuße des Großen Stiefels liegt. Dort drang er neben dem Bach tief in die Erde ein, und da steckt er noch heute als ein großer, spitziger Felsblock. Wie der Menschenfresser sah, dass er seine Feinde nicht getroffen hatte, lief er ihnen nach. Nun wären sie verloren gewesen. Er hätte sie unter seinen Füßen zermalmt. In ihrem Glück aber stolperte er über einen Eichenstamm, der im Walde lag, und fiel mit dem Kopf so schwer auf einen Felsen, dass ihm die Hirnschale barst und er besinnungslos liegen blieb. Da machten die Fliehenden Kehrt und schlugen ihn mit ihren Äxten vollends tot. Die Riesenleiche wurde in eine Bergmulde geworfen und so lange mit Felsgestein zugedeckt, bis sie gänzlich verschwunden war und sich über ihr ein mächtiger Steinhügel wölbte. Er heißt noch heute das Riesengrab.

Ein paar hundert Jahre später kamen sieben fromme christliche Ritter in das Waldgebirge an der Saar. Niemand wusste, woher sie kamen, und sogar ihre Namen sind unbekannt geblieben. Sie suchten sich die sieben höchsten Felsenberge aus, verteilten sie untereinander und erbauten sieben Burgen. Die sind nun freilich schon seit tausend Jahren zerfallen und selbst die Kunde, wo sie lagen, ist verschollen. Doch will man an den Bausteinen und Mauerresten, die auf einzelnen saarländischen Waldbergen unter den Wurzeln der Bäume, den Sträuchern und Moosen, gelegentlich zum Vorschein gekommen sind, drei dieser Burgstätten wiedererkannt haben, den Höcherberg bei Neunkirchen, den Hölsberg bei Bliesingen und den Roten Kopf bei St. Ingbert. Nur eines der sieben Bergnester kennt man genau. Es ist das Stiefler Schloss, die uralte Ruine auf dem Großen Stiefel. Der Ritter, welchem es gehörte, hieß beim Volke Ritter Heim. Er soll sehr reich, doch auch sehr gut gewesen sein. Als sein Geschlecht ausgestorben war, zerfiel das Schloss allmählich. Die Raubritter, die danach im Lande hausten, richteten es zu ihrem Schlupfwinkel ein, weil sie von da die Kaufleute überfallen konnten, welche durch die Schlucht bei Rentrisch kamen.

Es gibt aber noch ganz andere Geheimnisse in den dunklen Wäldern am Großen Stiefel, seltsame Dinge, die bis an unsere Tage heranreichen. Es geistert in diesen Forsten höchst unheimlich. Noch vor wenigen Jahrzehnten haben Leute dort sonderbare Geschichten erlebt. So haben Hüttenarbeiter, die zufällig in der Nacht von Bischmisheim nach St. Ingbert gingen, deutlich den Maltitz im Walde brausen hören. Andere wollen ihn sogar gesehen haben. Dieser Maltitz war einst ein freiherrlicher Jagdmeister im Köllertale. Er ließ die armen Landleute unbarmherzig frohnen. Am Sonntag Vormittag mussten sie Treiberdienste leisten, sodass sie nicht in die Kirche gehen konnten. Als einmal ein alter Bauer, während die Glocken feierlich zur Messe riefen, den Jagdmeister bat, das unheilige Handwerk zu unterbrechen, damit er ein Vaterunser beten könne, schlug ihm der erboste Mensch die Saufeder um den Kopf, dass das Blut nur so rann. In demselben Augenblick fuhr wie der Blitz eine große schwarze Wildsau aus dem Gehölz, dem Maltitz gerade zwischen die Beine. Er kam rittlings auf das Tier zu sitzen, und im Nu war es mit ihm im Walde verschwunden. Man at ihn nie wiedergesehen, es wäre denn als wilden Jäger, in stürmischen, dunklen Nächten. Da jagt er auf der Wildsau, begleitet von Geisterhunden und Wölfen, durch die Saarwälder. Dazu wird er wohl auch heute noch verdammt sein.

Dieser Wilde Jäger vom Köllertal ist aber nicht das Schlimmste, was einem am Großen Stiefel begegnen kann. Es braust vorüber, und man braucht nur ruhig stehen zu bleiben, so kann einem nichts geschehen. Und am Tage ist man vor ihm sicher. Peinlicher ist eine Begegnung mit dem Alten vom Saarwalde. Da wird einem, sei es im lichten Sonnenschein oder in webender Mondnacht, auf einmal ganz ängstlich zumute, ohne dass man sagen könnte, wovor man sich eigentlich fürchtet. Aber plötzlich wendet man den Blick nach irgend einer verdächtigen Stelle, und siehe, da steht totenstarr, mit fahlem Gesicht, ein steinalter Mann im Jagdrock, einen Hirschfänger an der Seite und eine wallende wilde Feder auf dem Hut. Er sieht einem mit funkelnden Geisteraugen gerade ins Gesicht, und es soll noch niemand diesem Blick standgehalten haben. Wer immer den Alten sah, der ist in bleicher Angst, so schnell erkonnte, davongelaufen. Zuletzt ist er vor nicht sehr langer Zeit von zwei Bergleuten gesehen worden, die auf dem Großen Stiefel einen Eichenstumpf klein machen wollten. Es kam ihnen schon verdächtig vor, dass es bei jedem Streich ihrer Äxte in der Tiefe des Berges kollerte und rumpelte. Schließlich ließen sie von der Arbeit ab und blickten einander verstört an. Da stand plötzlich ihnen gerade gegenüber im Schatten einer Buche der gespenstische Alte. Sie ließen alles stehen und liegen und rannten, was sie konnten, ins Tal hinunter.

Auf andere Weise wieder geht es um in der Nähe der Stiefler Schlossruine. An gewissen Sommertagen, wenn es ganz windstill ist und die Luft von den Dünsten des Waldes zu flimmern beginnt, kann es vorkommen, dass ein einsamer Wanderer mit einem Mal den Schlossgarten, wo seit vielen hundert Jahren nur Brombeerhecken, Ginster und Farne wachsen, in seiner ganzen ehemaligen Pracht und Blüte vor sich sieht. Da gibt es Rosen, Malven und Akelei, schimmernde Wege und schattige Laubengänge. Ehe man vor Verwunderung recht zur Besinnung kommt, ist alles wieder verschwunden.

Auch die Schlüsselblumen, welche im Frühjahr so zahlreich auf den unteren Hängen des Berges blühen, sind nicht von gewöhnlicher Art. Sie sind üppiger, goldener als andere und haben einen seltsam süßen Duft. Als einmal ein armes Mädchen, ein Waisenkind, das von seinem Jägerburschen verlassen wurde, weil er eine reiche Wirtstochter freien wollte, in Trübsinn fiel und durch den Wald irrte, kam es zufällig auf die Halde am Großen Stiefel unterhalb der Burgruine. Wie es die goldleuchtenden Blumen sah, lächelte es unter Tränen und pflückte sich einige davon, um nicht immer an den untreuen Geliebten denken zu müssen. Den Strauß trug es nach Hause und stellte ihn über Nacht in einen Krug. Als es den Blumen am nächsten Morgen frisches Wasser geben wollte, da merkte es, dass sie zu lauterem Golde geworden waren. Das arme Ding schämte sich seines Reichtums und versteckte den Schatz, aber es kam doch heraus, und da bekam es einen flotten Reitersmann zum Liebsten, der es auch bald geheiratet hat. Der andere, der sie verlassen hatte, verprasste das Geld seines Schwiegervaters, kam in Schulden und Unehre und hing eines Tages als Leiche im Bergwald am Großen Stiefel.

Man erzählt auch von großen Schätzen, die in der Nähe des Stiefler Schlosses zwischen den Felsen vergraben liegen. Sie kommen von den Raubrittern her, die auf dem Schlosse lange Zeit ihr Unwesen getrieben haben. Was die an Kostbarkeiten den Reisenden und Kaufleuten raubten, vergruben sie meistens außerhalb der Burg im Walde. Wenn sie dann in ihrem Neste ausgehoben und nach Recht und Gesetz gehenkt wurden, blieben die Schätze in der Erde, und sie liegen wohl auch gegenwärtig noch da verborgen. Es ist nicht ratsam danach zu suchen; denn es spukt gefährlich von unbekannten Geistern, die sie zu bewachen scheinen. Einmal ging ein habsüchtiger Bauer mit Spaten und Hacke zu nächtlicher Stunde auf den Schlossberg, weil er meinte, eine Stelle zu kennen, wo solch ein Schatz vergraben lag. Eifrig machte er sich an die Arbeit, und richtig, nach geraumer Zeit legte er eine große eiserne Kiste bloß. Schnell hob er den Deckel hoch. Da gleißte im Mondschein das lauterste Gold. Obwohl er sehr gut wusste, dass man beim Schatzgraben schweigen muss, stieß er vor Freude einen lauten Jubelruf aus. In demselben Augenblick versank die Kiste tief in der Erde. Er selber aber erhielt eine knallende Ohrfeige. Die war so kräftig, dass er bewusstlos zu Boden fiel. Als der Morgen dämmerte, erwachte er aus seiner Ohnmacht. Verwundert nahm er wahr, dass von seiner gestrigen stundenlangen Arbeit nicht die Spur zu sehen war. Ringsum nur Moos, Ginster und Waldklee. Unbenützt lehnten an einer Buche seine Werkzeuge. Während er noch staunte, erklang über ihm im Wipfel der uralten Wettertanne ein so teuflisches Hohngelächter, dass es ihm durch Mark und Bein ging und er ohne an die Mitnahme seiner Geräte zu denken in großen Sätzen den Berg hinabrannte. Wie er den Wiesengrund erreichte und atemlos verweilte, flogen Spaten und die Hacke, von ungeheurer Kraft geschleudert, über seinen Kopf hinweg in die Wiese, wo sie tief im Erdreich stecken blieben. Er soll danach ein bescheidener, mit seinem Los zufriedenen Mensch geworden sein.

Alternative Veröffentlichungen:


Quelle: August Diehl: Saarlandsagen. Ein deutsches Volksbuch für Jung und Alt. Würzburg: Amend 1934, S. 32 - 36


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© Paul Glass 1997 - 2003 ff

Last update: 27.12.2004