Offenbar haben die russischen Herrscher Kunde von der aktiven Bevölkerungspolitik des Erzrivalen Österreich und ihren positiven Auswirkungen für die Etablierung der eigenen Herrschaft in den entsprechenden Gebieten bekommen, denn im Jahre 1763 "sprang auch Rußland auf diesen Zug auf": Im Juli dieses Jahres erließ die damalige Zarin Katharina II (die besser als die Große bekannt ist) ebenfalls ein Manifest zur Ansiedlung von Kolonisten im noch nicht erschlossenen Wolgagebiet. Mit günstigen Ansiedlungsbedingungen gelang es Katharina II., viele Siedler anzulocken; wie Hacker, 98 berichtet, siedelten die Kolonisten, unter denen sich viele Pfälzer befanden, vor allem an der unteren Wolga, in den Provinzen Taurien und Kaukasien.
In den darauffolgenden Jahren gab es offenbar einen regelrechten Anwerbe-Wettbewerb zwischen Österreich und Rußland, um die Erschließung des eigenen Landes bzw. der im Rahmen der drei Polnischen Teilungen von 1772, 1793 und 1795 neuerworbenen Gebiete voranzutreiben. Im Jahre 1793 fiel beispielsweise Podolien an das Zarenreich. Sofort wurden auch für dieses neue russische Gebiet Siedler in Süddeutschland geworben. Laut Hacker, 98 ging die Reise dahin "neckaraufwärts, dann von Lauingen ab auf der Donau" nach Osten. Bereits 1804 wurden immer mehr Podolien-Auswanderer registriert; in diesem Jahr wurde nämlich auch den Armen der Wegzug erlaubt.
Im Jahre 1808 wurde die Ansiedlung in die südlichen Provinzen Rußlands forciert. Wie es scheint, wurden die zuvor mehrfach von deutscher Seite ausgesprochenen Auswanderungsverbote jetzt nicht mehr beachtet, weil man die militärische Hilfe Rußlands gegen Frankreich brauchte. Nach dem Sieg der Preußen, Russen und Österreicher über Napoleon im Jahre 1815 setzte erneut eine Auswanderungswelle nach Rußland ein, offenbar vor allem als Folge der Mißernten und Erntenausfälle im Verlauf der letzten Kriegsjahre.
Aus Ensheim wanderten beispielsweise zwischen 1824 und 1829 folgende Einwohner nach Petersburg aus:
Peter Blaes (Blaise), Dosenmacher, Sohn von Andreas Blaes und Anna Elisabeth Scherer aus Ensheim, und seine Frau Barbara Wollenschneider, Tochter von Peter W. und Barbara Wilhelm (1824/26)
Nikolaus Johann Wollenschneider, Dosenmacher (1824)
Franz Adt, Sohn von Johann Jakob Adt und Maria Wollenschneider, * 20.03.1808 Ensheim (1828)
Johann Jakob Adt, Dosenmacher, Sohn des Dosenmachers und Bürgermeisters Johann Peter Adt, seine Ehefrau Maria Wollenschneider und ihre Kinder Johannes, Margaretha, Nikolaus und Barbara. (1829)
Die hier genannten Barbara, Nikolaus Johann und Maria Wollenschneider waren Geschwister! Ein Beweis für die These, daß oft miteinander verwandte Personen gemeinsam auswanderten.
Quellen:
Zum nächsten Kapitel: "Ensheim unter der Herrschaft des Klosters Wadgassen"
© Paul Glass 1997 - 2001 ff