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Faase|nachd

Fasching wird in Ensheim nach wie vor groß geschrieben. Schon vor den drei närrischen Tagen geht es auf diversen Maskenbällen rund, sei es im "Saal" oder in der Wirtschaft. Neuerdings sind auch wieder Kappensitzungen im Kommen, wo mehr oder weniger begabte Büttenredner das Dorfgeschehen auf die Schippe nehmen.

Glaase Paul in Aktion

Am Faschingssonntag, nachmittags gegen 14 Uhr, geht's dann so richtig los: die Narren treffen sich an einem "Sammelplatz", meist in der Wohnung oder im "Keller" eines Obernarren, um sich dort für die Straßenfastnacht vorzubereiten, das heißt: um sich zu vaboodse, sich also zu verkleiden. Für Faschingsprofis gibt es gar keine Qual der Wahl: sie verkleiden sich als Aldi.

Dabei handelt es sich hier nicht etwa um einen großen deutschen Billigdiscounter, sondern um DIE VERKLEIDUNG an sich: man verkleidet sich als Hexe, als häßliche Alte, je oller, je doller, je schräger, desto besser. Riesige Hüte oder gar beleuchtete Lampenschirme auf dem Kopf, Wahnsinnsbusen aus aufgeblasenen Luftballons, die häßlichsten Masken, in Ensheim Fraddse|gesichda genannt, im Gesicht, gut ausgepolstert mit 2 Kissen am Bauch und am Hintern, mit weiten Röcken, wunderschönen Tischdecken und alten Gardinen als Schleier garniert, in der einen Hand e aldes Pabbelee, ein alter Schirm also, und e aldes Hònd'däschelche, in dem das "Notbesteck" aufbewahrt wird: ein dünner Schlauch, 's Rehrche, das man zur Aufnahme der Flüssignahrung braucht, wenn man nicht die Fradds absetzen will, und in der anderen Hand die Pläddsch, eine Art Schlaginstrument aus gefaltetem  Karton. 

Derart uss'schdaffìerd geht's dann schließlich los: man zieht in kleinen Gruppen durch die Straßen und begehrt bei bekannten und weniger bekannten Leuten mit dem Ruf Einlaß: "Mache uff! Ma wille e Schnäbbsje hònn!" Wenn nicht geöffnet wird, aber man sieht, dass der Vorhang wackelt, dann werden die Rufe umso nachdrücklicher: "Mache ùff! Ma wisse, dassna dehämm sìnn!" Wenn auch das nicht wirkt, muss man zu einer List greifen, die meist Erfolg verspricht. Man gibt sich als Verwandter aus und ruft erneut: "Tonde Mariche! Mach ùff! Ich sìnn's!" Nun ist die so angerufene Person natürlich neugierig und will wissen, wer von der Verwandtschaft draußen Einlass begehrt und macht auf! Vielleicht..., denn der Trick funktioniert nicht immer! Oft wird auch noch am Fenster oder an der Türe verhandelt: "Ich lònn och erìnn, awwa ìehr mìsse die Fraddsegesichda erunna|mache!" Das tut man aber meist sowieso: so kann man besser essen und trinken und ein bisschen Luft zwischendurch schadet auch nicht. Wer allerdings die totale Anonymität vorzieht, der darf seine Maske nicht absetzen: dann heißt es, unter erschwerten Bedingungen zu essen und zu trinken. Trinken, das sieht so aus: Schnaps und Bier, gegen später auch Kaffee werden mit einem dünnen Gummischlauch (meddem Rehrche) zu sich genommen, was vor allem beim Alkohol die Wirkung gut und gerne verdreifacht! Essen, das geht so: Die Maske wird unten etwas gelüftet und die Stulle wird in den Mund geschoben...

Begehrt sind selbstgebrannte Schnäpse wie Kirsche|schnabbs, Bìere|schnabbs oder Mirabälle|schnabbs. In schlächde Hiesa [schlechten Häusern, also "sparsamen" oder geizigen Haushalten] bekommt man Apfelschnaps, Schnaps aus dem Supermarkt oder gar Likör vorgesetzt - die spätere Wirkung ist entsprechend heftig! Je mehr Schnäpschen getrunken werden - Profis schaffen davon locker 20 Stück! -, umso ausgelassener die Stimmung, umso frecher auch das Auftreten der Aldis. Gegen all zu schnelle Trunkenheit wirken am besten frische Faase|kìechelcha, Gròòwurschd'schmeere oder Galleräi. (Den absolut besten Galleräi gibt's bei Hautze Oss und seiner Frau in der Kriddsfälld'schdròòß...!)  Es ist wichtig, zwischendurch immer wieder kräftig zu essen: notfalls muss man sich e Schmeer follarre, also um eine Stulle nachsuchen. Wer nicht viel isst, ist schnell besoffen und hat nicht selten einen Filmriss: er weiß am nächsten Tag nicht mehr, wie er heim gekommen ist... Oft bedeutet Volltrunkenheit aber auch, dass man midde ùffs Droddwaa koddse muss - ein sehr unappetitliches Unterfangen, was in der Regel eine Schimpfkanonade bei unbeteiligten Fußgängern auslöst.

Gegen Abend, man hat sich ja mittlerweile mächtig in Stimmung gebracht, beginnt dann der Zug durch die zahlreichen Ensheimer Kneipen, wo sich die Crème de la crème der Faaseboodse trifft und das jeweilige Aufeinandertreffen gebührend begießt und feiert... 

Jede schöne Frau wird dann geschmuddsd, jede erotische [siehe Tante Friedche!] sowieso, faschingsmäßiges Mobbing also, das aber von den meisten Mädchen und Frauen durchaus toleriert, wenn nicht sogar sehnsüchtig erwartet wird. Es gibt natürlich auch umgekehrt viele weibliche Wesen, die ihrerseits in Gruppen unterwegs sind, sehr oft auch als Aldi oder als Domino, und dann auf Männerfang gehen. Dann schnappt man sich die Männer, die man immer schon mal haben wollte.

So oder so ähnlich geht es rund von Sonntag bis Dienstagabend. Profis schaffen das Pensum locker, normale Boodse haben von dickem Kopf bis hin zu Herzrhythmusstörungen alle möglichen Wehwehchen.

Seit gut 25 Jahren findet am Rosenmontag immer ein großer Umzug statt, an dem viele Motivwagen und noch mehr Kleingruppen teilnehmen. Auch hier wird heftig Bier und Sälwa|gebrännda ausgeschenkt, Gùùdsja werden von den Wagen in die Menge geworfen, und es wird viel gesungen und getanzt. Aus allen Ecken dröhnen die lauten Allee hobb-Rufe der Faaseboodse und der meist zahlreichen Zuschauer.

Der Umzug führt vom Sportplatz zur Hauptstraße, von da Richtung Cunze, von hier geht es weiter durch die Johann-, Fabrik- und Franzstraße bis zum Kriegerdenkmal, hier wendet sich der Zug nach links und führt über die Eschringer Straße und die Hauptstraße zurück in die Dorfmitte. 

Der Zug endet stets auf dem Parkplatz der Sporthalle. In der Sporthalle ist dann ein feucht-fröhlicher Ausklang mit allen Umzugsbeteiligten und Zuschauern angesagt...

Es gibt nicht wenige Ensheimer, die mittlerweile als "Arbeitsemigranten" außerhalb des Saarlandes leben, aber keine Faase'nachd auslassen und Jahr für Jahr anreisen, um sich ins Faschingstreiben zu stürzen... (Iwwa'richens: Die Owwa|faase|boodse sinn noch immer Dissels Dieda, de ald Fiddsebabbe, de Kussing, Meyersch Uli unn noch so paa Grussele...)   :-))


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Last update: 01.02.2006                           © Paul Glass 1997 - 2006 ff