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5.5 Ensheimer Quellen online (1)


Jakob Grentz: 

Ensheim vor 60 Jahren. Bilder aus dem hinterpfälzischen Dorfleben. Forbach 1894


Vorbemerkung [des Herausgebers ?]


In den letzten 50 Jahren ist eine gewaltige Veränderung aller Verhältnisse und Anschauungen eingetreten. Selten hat die Geschichte eine so schnelle Entwicklung genommen, wie in dem letzten halben Jahrhundert. Die Lebensbedingungen, denen das heutige Geschlecht unterworfen, sind ganz und gar anders als in den Zeiten unserer Väter oder gar Großeltern. Abgesehen von den gewaltigen Ereignissen, durch welche die politische Umgestaltung unseres Vaterlandes sich vollzog und welche den anderen europäischen Staaten ebenfalls neue Ziele gegeben und andere Wege gezeigt haben, ist besonders durch die Kraft des Dampfes und des Lichtes eine durchgreifende Verschiebung der Weltordnung hervorgerufen. Großartig hat sich Handel und Verkehr entwickelt; ferne Länder sind uns näher gerückt, die Erzeugnisse und die Naturschätze entlegener Gebiete zum Gemeingut geworden. Der Gesichtskreis hat sich erweitert, das Denken und Fühlen der Menschen haftet nicht mehr so sehr an den engen Grenzen des Althergebrachten. Das heutige Geschlecht ist daher in viel höherem Grade eine neues als unsere Väter von ihren Ahnen verschieden waren. Die Schranken sind gefallen, welche Natur und Menschenhand einer ungehinderten Entwicklung und freien Entfaltung der Geisteskräfte früher ausgerichtet hatten.

Wollen wir uns aber zu recht des Fortschrittes der letzten Jahrzehnte bewusst werden, dann müssen wir die Zustände und Anschauungen entschwundener Zeiten einer näherem Prüfung und Beachtung unterziehen. Die Kulturgeschichte ist ein lehrreiches Buch; sie weist die verschlungenen Pfade und zeigt die Wege, auf denen die wahre Entwicklung der Menschheit fortschritt. Sie macht uns bekannt mit den wirtschaftlichen Verhältnissen früherer Jahrhunderte und bestimmt den wahren Wert vergangener Zeiten.

Es muss daher jeder Beitrag zur Kultur und Sittengeschichte dankbar begrüßt werden, zumal wenn der Verfasser aus dem reichen Schatz von Anschauungen und Beobachtungen schöpft, die zwar mit der Person innig verquickt sind, aber doch Anspruch auf Gültigkeit und Wahrheit erheben dürfen. Wollte man bei der Beurteilung von geschichtlichen Vorgängen oder der Schilderung von Kulturzuständen nur beglaubigten Akten, Dokumente mit tatsächlichem Inhalte als objektive Wahrheit gelten lassen, verzichten wir auf die Verknüpfung der Tatsachen und den inneren Zusammenhang, so wäre die Geschichte der Völker, die Kulturgeschichte der Menschheit ein allerdings massives, aber reiz- und schmuckloses Gebäude. Und selbst wenn wir bei der politischen Geschichte, der Feststellung des Geschehenen, auf die Verknüpfung der Tatsachen, auf die logische Gliederung der Ereignisse verzichten und uns mit einem chronologisch und sachlich unanfechtbaren Tatbestande begnügen, die Kulturgeschichte kann der persönlichen und subjektiven Schilderung nicht entbehren.

Als Quelle nun für die Kulturgeschichte gelten stets die Berichte und Erlebnisse der Zeitgenossen. Ihre Auffassung und Kritik der Verhältnisse liegt als dankenswertes, glaubwürdiges Material unseren Forschungen zu Grunde. Und gerade die sogenannten Lebenserinnerungen sind auch inhaltlich eine wertvolle Unterlage für die Erkenntnis vergangener Zeiten und bieten manches, was sonst nicht zu finden wäre.

Daher begrüßen wir mit Recht in dem vorliegenden Werk eine jedenfalls eigenartige, wenn auch nicht erschöpfende Darstellung des früheren Lebens der Landbewohner zwischen dem Hardtgebirge, der Nahe und der Saar, dem Gebiete, welches unter dem Namen Westrich oder Hinterpfalz bekannt ist. Aber auch große Teile der lothringischen Kreise Saargemünd und Forbach, das Bitscher Land, der sogenannte Gau und das Rosseltal, gehören noch zu diesem Westrich, wenigstens soweit Leben und Sprache ihrer Bewohner in Frage kommt; erst wenn wir die Passhöhe bei St. Avold erstiegen haben, beginnt ein anderes Leben, herrschen andere Sitten.

In Ensheim, einem damals kleinen Dorfe dieses Gebietes, ist der Verfasser herangewachsen und hat dort den größten Teil seines Lebens zugebracht. Kein Wunder also, wenn er auf Glaubwürdigkeit Anspruch machen darf, und keine Frage, dass  seinem Unternehmen die nötige Kritik und Urteilskraft nicht fehlte. Er weiß überall des Wesentliche hervorzuheben, die bedeutsamsten Punkte in die richtige Beleuchtung zu stellen und in heiteren, humorvollen Worten uns zu Herzen zu sprechen.

Gern entsprach der Unterzeichnete der Bitte des Verfassers, den Manuskripten einer Durchsicht zu unterziehen und die Korrektur der Druckbogen zu besorgen. Es scheint in Rücksicht auf den Stoff nicht ratsam, die hier und da altertümliche Sprache und Satzverbindungen zu berichtigen; der Ton der Darstellung wäre dadurch beeinträchtigt und die Wirkung der Schilderung gestört. Nur die Rechtschreibung ist nach den jetzt geltenden Regeln durchgeführt.

So möge denn das Büchlein als willkommenes "Christkindchen" in den Häusern der Pfalz und weiterer Bezirke Einkehr halten. Es möge dazu beitragen, nicht allein die Vergangenheit, das Leben der Väter dem jetzigen Geschlechte vor Augen zu führen, sondern auch die heutige Zeit entsprechend zu würdigen.

Forbach, im Dezember 1894                        Dr. Vildhaut

 



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Last update: 21.09.2001