Materialien: Zwischenruf von Michael Kinnen (15.06.2001)
[Anmoderation: Heute hat er Geburtstag. 125 Jahre alt wäre er heute
geworden. Und eigentlich müsste sein Geburtstag gefeiert werden. Ehrenbürger ist er zudem - Ehrenbürger von Ensheim. - Sogar eine Straße ist nach ihm benannt: Der Ensheimer Arzt und Professor Oskar Orth. Doch in Ensheim feiert heute aus gutem Grund niemand, sagt Michael Kinnen in seinem Zwischenruf.]
Im Leben des Oskar Orth sind Schatten aufgetreten. Das wurde jetzt erst
bekannt. Während der Nazizeit war er Leiter des Landeskrankenhauses in Homburg. Dort sind unter seiner Verantwortung hunderte von Menschen zwangssterilisiert worden, weil sie nicht in das Bild der Nazis passten: Kranke Menschen, Behinderte und so genannte "Schwachsinnige" - ein fürchterliches Wort.Ob er es aus Überzeugung gemacht hat, oder ob er nur stillschweigend
geduldet hat, weil er um seinen Beruf, seine Stellung, gar sein Leben fürchtete, weiß heute keiner so genau. Die Zeitzeugen sind rar geworden. Und selbst die können nicht die Richter sein, auch wenn manche das gerne wollen.Fakt ist, dass es Naziverbrechen in Homburg gegeben hat, da gibt es gar
nichts schön zu reden. Fakt ist auch, dass Orth in Homburg die Verantwortung hatte und Fakt ist zudem, dass in Ensheim die Straße nach ihm benannt ist. Das hat viel Aufregung gegeben in den letzten Wochen.Die Politiker aller Parteien standen sich in nichts nach, wenn es drum
ging, zu betonen wie gut die eigene und wie schlecht die andere Meinung in dieser Frage ist. Gestritten wurde, ob die Straße weiter so heißen kann.Doch das Thema ist viel zu sensibel für den Wahlkampf der Parteien.
Hier geht es nicht um Mehrheiten im Bezirksrat, um Parteibücher und schon gar nicht um ein Straßenschild. Hier geht es um Menschen. Menschen, Opfer, die unter den Nazis fürchterlich gelitten haben. Die nur zu oft getötet wurden, weil sie nicht ins System passten.Zu gerne wird bei den Tätern auf "die anderen" gezeigt, die noch viel
schlimmer waren. Zu gerne wird von der schlimmen Vergangenheit erzählt, die ja - Gott sei Dank - so weit weg ist. Brenzlig wird's nur, wenn einen die Vergangenheit einholt. Wenn der Schatten der Vergangenheit lang und länger wird. Wenn die Straße immer noch so heißt. Bis heute. Mit den Stimmen der CDU, die im Bezirksrat die Mehrheit hält.Ich fürchte, es wird still werden. Wenn die Wogen geglättet sind, der
Beschluss für das Schild vergessen. Die Straße weiter so heißt. Wir vergessen sehr schnell. Ob mit oder ohne Straßenschild: Es darf keinen Schlusspunkt geben.Vielleicht wird jemand, der den Straßennamen liest, nachdenklich werden.
Und auch den Mund aufmachen. Denn Schweiger und Schönredner gibt es schon genug. Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein.Quelle:
Zwischenruf von Michael
Kinnen, früher Ensheim, jetzt Mainz,
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© Paul Glass 1997 - 2001 ff
Last update: 30.11.2001