Eine kritische Bestandsaufnahme
von Paul Glass
Die Ensheimer Mundart ist fraglos eine der interessantesten Mundarten im Saarland. Dies liegt vor allem daran, dass sich diese rheinfränkische Mundart durch eine Reihe von Sprachmerkmalen alemannischer Herkunft von den Dialekten der Nachbarorte unterscheidet, aber andererseits mit den lothringischen Mundarten eng verwandt ist.
Es sind vor allem folgende Unterscheidungsmerkmale:
1. Die Entdiphthongierung der Doppellaute: so wird im Ensemma Pladd in der Regel
·
/au/
zu |u|, |uu|, |ää|, |òò| oder |aa|
·
/äu/
zu |i|, |ie|
·
/ei/
zu |i|, |ie|, |ää| |
·
/eu/
zu |i|, |ie| oder |uu|
Allerdings ist diese Entdiphthongierung der Doppellaute nicht umfassend erfolgt, so dass manche Diphthonge – wenn auch in veränderter Form, z. B. als |äi| oder |ou| - noch erhalten geblieben sind.
2.
Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal hinsichtlich der benachbarten Mundarten ist
der Lambdazismus, demzufolge ein /t/ oder /d/ im Wort oft als |l| oder |ll|
gesprochen wird. So wird beispielsweise aus dem schriftdeutschen /Bruder/
in Ensheim Bruula, aus den /Juden/ werden Julle, aus /später/ wird
schbääla usw.
3. Zu unterscheiden ist der Lambdazismus von ähnlichen
Formen, die aus den Konsonantenverbindungen /lt/ und /ld/ hervorgehen: so wird /Schulter/
zu Schùlla; /gelten/ zu gälle; /melden/ zu mälle;
/poltern/ zu bollarre usw. Hierbei handelt es sich aber nur um
Assimilationserscheinungen Liquid+Dental zu
Liquid, also lt>ll, ld>ll die auch in anderen Kombinationen
vorkommen: /md/ zu |mm|, oder /nt/
und /nd/ zu |nn|.
Ich war kürzlich für einige Tage in Ensheim und hatte vielfach Gelegenheit, die Nutzung des Ensheimer Dialektes zu überprüfen. Das Ergebnis war niederschmetternd: Es wird zwar weiterhin viel Dialekt gesprochen, aber was für ein Dialekt! Viele Dialektsprecher aus Ensheim, insbesondere die Kinder und Jugendlichen, eignen sich immer mehr das Saarbrücker Pladd oder eine Art übergreifendes Saarländisch an, das mit dem urtümlichen Ensemma Pladd nicht mehr viel gemein hat. Insbesondere gehen die für das Ensemma Pladd typischen Merkmale, die ich oben kurz beschrieben habe, nach meiner Beobachtung immer mehr verloren. Der Lambdazismus wird meist gar nicht mehr beachtet; auch die Entdiphthongierung findet vielfach nicht mehr statt. Selbst die schriftlichen Belege für die schleichende Verwässerung des Ensemma Pladd werden immer zahlreicher, seit es chic ist, in Einladungen zu Festen oder auch in Vereinsmitteilungen den Ensheimer Dialekt in kleinen Häppchen zu benutzen. Nur ein Beispiel. So hieß es im Sommer in einer Verlautbarung der CDU: „Bei der CDU in Ensemm iss widder Grumbierbrodezeit!“ Viel falscher konnte man diesen Satz wirklich nicht schreiben. Richtig wäre gewesen: „Bäi da CDU isch willa Grumbierbròòlezidd!“ So sehr ich mich freue, das Ensemma Pladd auch geschrieben zu sehen, so sehr ärgere mich über den Gebrauch eines total verwässerten Dialektes. Ich finde, wenn man das original Ensemma Pladd nicht mehr richtig beherrscht, dann sollte man solche Veröffentlichungen lieber ganz auf schriftdeutsch abfassen oder sich wenigstens vorher bei jemandem erkundigen, der die korrekte Aussprache noch kennt.
Meines
Erachtens ist diese Verwässerung des Ensemma Pladd außerordentlich schade,
denn hier stirbt nach und nach ein Stück Ensheimer Tradition, und dies ohne
Not. Über die Ursachen dieser Entwicklung gibt es unterschiedliche Meinungen,
aber sicher liegt es auch an der im Vergleich zur früheren Zeit viel größeren
Mobilität, am höheren Bildungsniveau, am übergroßen Einfluss der
Massenmedien wie Rundfunk und Fernsehen und am Unvermögen oder Unwillen vieler
Eltern, ihren Kindern neben dem Schriftdeutschen auch einen möglichst unverfälschten
Dialekt beizubringen, vielleicht sogar wegen der irrigen Meinung, zuviel Dialekt
könne der schulischen Karriere des Kindes bzw. später im Beruf schaden.
Wie
dem auch sei: Ich wünsche der Ensheimer Bevölkerung, dass sie sich wieder stärker
auf ihre sprachliche Tradition besinnen und sich bemühen möge, ihren Dialekt
so unverfälscht wie möglich zu gebrauchen – vor allem mündlich, aber auch
zuweilen schriftlich. Über die Schreibkonventionen kann man unterschiedlicher
Meinung sein, meist nicht aber über die Form der Aussprache. Wer sich über die
Aussprache und die Schreibkonventionen des Ensemma Pladd näher informieren möchte,
dem sei ein Blick auf die Ensheim-Homepage im Internet empfohlen:
http://www.ensheim-saar.de/mundart/pronounc.htm
http://www.ensheim-saar.de/mundart/write.htm.
Kontaktadressen
für Anregungen und Kritik:
Paul
Glass, Dorfstr. 35, 74427 Fichtenberg-Erlenhof
FAX:
07971-23326
e-Mail: Paul.Glass@epost.de
Literaturtip: Paul Glass: Ensemma Platt. Der Wortschatz der Ensheimer Mundart. 2 Bände. Ensheim 1975 und 1976 (= Ensheimer Wörterbuch, Band 1 und 2)
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© Paul Glass 1997 - 2001 ff
Last update: 23.09.2001