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16. Der Schlossgarten auf dem Großen Stiefel

Nicht weit von Saarbrücken liegt ein Berg, der Große Stiefel genannt. Auf seiner Höhe stand früher ein Schloss, von dem heute nur noch Trümmer zu sehen sind. Dort kann man sich leicht verirren. So erging es auch einmal einem Mädchen aus einer der umliegenden Ortschaften, das Walderdbeeren sucht, deren Geschmack etwas von der würzigen Dunkelheit des Waldbodens hat.

Sie fand zunächst nichts und lief immer weiter, bis sie auf der Höhe angekommen war, wo früher das Schloss und die umliegenden Gebäude gestanden hatten. Dort hörten plötzlich Wildnis und Gestrüpp auf und vor ihr öffnete sich der Schlossgarten, der voller Blumen und Früchte war. Und an schattigen Stellen fand sie auch Walderdbeeren, so viel sie wollte. Das Schlossfräulein, von dem sie oft hatte reden hören, kam auf sie zu und forderte sie auf, so viele Beeren zu pflücken, wie sie Lust hatte und in ihrem Körbchen forttragen konnte. Das Kind war zunächst vor Erstaunen wie festgewurzelt stehen geblieben. Es wusste aus den Erzählungen der Leute im Dorf, dass das Fräulein, die Tochter des Ritters und Schlossherrn Heim, vor langer Zeit gelebt hatte. Dann aber folgte es der Aufforderung der Schlossherrin, und bald war sein Körbchen voll, so dass keine einzige Beere mehr hineinging. Es hatte auch reichlich von den Walderdbeeren gegessen, die so gut schmeckten, dass es sich nicht erinnern konnte, jemals dergleichen gekosten zu haben.

Auch der Mutter ging es so, die auf die Heimkehr ihres Kindes wartete. Sie war in letzter Zeit oft krank gewesen, aber mit den Beeren schien alle Schwäche von ihr genommen. Die dunkelroten Rosen, die das Burgfräulein dem Kinde mitgegeben hatte, stellte sie in ein Glas. Als Mutter und Tochter am Morgen erwachten, waren die Rosen zu Gold geworden. Sogleich gingen sie beide auf den Berg, um dem Burgfräulein zu danken. Aber da war von dem Schlossgarten nichts mehr zu sehen. Nur die alte Wildnis war wieder da. Und in der Luft hörte man nichts als das Rauschen und Wehen des Windes in den Zweigen.

Alternative Veröffentlichung:


Quelle: H. B. Schiff: Pifferjokob und Trommelsepp. Sagen und Geschichten von der Saar. Saabrücken: SDV 2.1982, S. 17 f


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Last update: 27.12.2004