ENSHEIM Homepage


Extra-Info:  Diskussion um Prof. Dr. Oskar Orth


Ein Bericht in der Frankfurter Rundschau am 6. Juni 2001


 

Der befleckte Straßenname

 

Lange ist in Saarbrücken ein Nazi-Mediziner geehrt worden

Von Michael Grabenströer

Der Mann war erfolgreicher Dorfarzt, Chirurg, Professor, gehörte zu den Gründern einer Universität - kurzum, ein Mann, nach dem man Straßen benennt. Ein Medizinpreis bekam seinen Namen. Die saarländische Staatskanzlei würdigte in den fünfziger Jahren seine Verdienste als Organisator von Fortbildungskursen und Fachtagungen. Außerdem war er in der Standesarbeit aktiv und Ehrenbürger von Saarbrücken. Die Stadt kümmert sich bis heute um seine Grabstätte auf dem Friedhof des eingemeindeten Stadtteils Ensheim, ein Beschluss aus den Jahren der Gebiets- und Verwaltungsreform.

Als Rechtsnachfolgerin der Gemeinde Ensheim übernahm Saarbrücken selbstverständlich die Grabpflege des Mediziners Oskar Orth (1876 bis 1958), von dem auch die Schreibweise Oscar Orth existiert. Und es sollte mehr als vierzig Jahre dauern, bis dessen Vergangenheit auch in Saarbrücken zum Thema wurde. Der Geehrte nämlich war Mit-Vollstrecker der Nazi-Medizin, wie der Historiker Christoph Braß in seiner Magisterarbeit über "Zwangssterilisationen im Saarland" herausfand. Das war bereits 1993. In der Stadt Homburg hatte Oskar Orth im Landeskrankenhaus gewirkt und mehr als tausend Zwangssterilisationen im Sinne der Nazi-Ideologie mitverantwortet, ja teilweise selbst am "Menschenmaterial" operiert. Zuerst verlor der Wissenschaftspreis für erfolgreiche Nachwuchsmediziner Orths befleckten Namen. Dann verschwand 1997 der Straßenname in Homburg - nicht heimlich, sondern nach zum Teil erregt geführter öffentlicher Debatte in Universität und Stadt.

In Saarbrücken ehrte man unterdes den Mediziner weiter, als wäre in Homburg nichts geschehen, als gäbe es im Saarland Tausende von Gemeinden, die nichts voneinander wüssten, und nicht ganze 52. Im Oktober 2000 rollte die Saarbrücker Zeitung den Fall des "Nazi-Handlangers am Skalpell" neu auf. SPD-Oberbürgermeister Hajo Hoffmann zeigte sich bestürzt und empfahl dem zuständigen Ortsbeirat, "schnell zu handeln". Die "Hoheit" über die Vergabe von Straßennamen liegt nämlich noch, Relikt der Selbstverwaltung, in den Stadtbezirken. Dort blieb man störrisch. Setzte das öffentliche Thema auf den nicht-öffentlichen Teil der Sitzungen. Eine Resolution im Stadtrat blieb unbeachtet. Die Saarbrücker CDU entschied sich für "Nichtbefassung" und spielte, es war gerade Oberbürgermeister-Wahlkampf, nicht das erste Mal eine äußerst zweifelhafte Rolle bei der Aufarbeitung der NS-Historie.

Der Straßenname in Ensheim kann für den noch immer nachlässigen, oft unsensiblen Umgang mit der Geschichte stehen. Als vor drei Jahren in Homburg, sozusagen der nächste Bahnstopp hinter Saarbrücken, bevor man die Pfalz erreicht, die Oskar-Orth-Straße aufgehoben wurde, da wurde dies auch landesweit vermeldet. Die Homburger benannten deutlich die Zwangssterilisation als Grund für den Namenswechsel der Straße, die von der Innenstadt zur Universitätsklinik führt. Sogar der Juso-Telegraph, das Mitgliedermagazin der Saar-Jungsozialisten, berichtete in der Ausgabe 2 / 97 über den Fall Orth ("Der Name Oscar Orth soll verschwinden!") in Homburg. Doch keiner kam auf die Idee, die Orthographie der Saar-Straßennamen zu überprüfen. Auch nicht die Sozialdemokraten in Saarbrücken.

Nun fordert der Landesjugendring das schon 1997 Naheliegende: Alle Gemeinden sollten überprüfen, ob Personen, die sich dem Nazi-Regime verschrieben hatten, mit Straßenbenennungen geehrt worden sind. Außerdem gibt der Jugendring den Kommunalpolitikern einen Hinweis für die Zukunft: Bei Neubenennungen von Straßen sollten bevorzugt Frauen und Männer berücksichtigt werden, die Zivilcourage gegen die Nazi-Herrschaft gezeigt hätten. Der Saarbrücker Willi Graf wird da genannt, der am 12. Oktober 1943 im Alter von 25 Jahren hingerichtet wurde - als letztes Mitglied der Weißen Rose. Es stünde jeder Saar-Gemeinde gut an, eine Straße nach Willi Graf zu benennen, meint der Landesjugendring.

Inzwischen ist die CDU eingeknickt. Der Bezirksrat Halberg, zu dem der Stadtteil Ensheim gehört, hatte mit einem Mehrheitsbeschluss von CDU, FDP und einem Parteilosen, der früher bei den Grünen war, versucht, den Straßennamen zu retten, da die Sterilisationen Orths nur eine "winzige Facette seines Lebens" seien, wie die Bezirksbürgermeisterin Anette Hübinger (CDU) meinte, die Medizingeschichte interpretieren zu müssen. Ein Zusatzschild, das auf mögliche Beteiligungen Orths an Sterilisationen hinwies, sollte den Straßennamen retten.

Der Saarbrücker CDU-Fraktionschef Gerd Bauer hat mittlerweile die Devise ausgegeben: "Der Name muss weg!". Und auch der Saarbrücker CDU-Vorsitzende, Finanzminister und stellvertretende Ministerpräsident Peter Jacoby machte Druck. Da darf höhere politische Einsicht mit aktuellem Hintergrund vermutet werden. Die absurde christdemokratische Namensverteidigung durch den Bezirksrat stand der Einigung in der Koalitionsfrage in der Landeshauptstadt entgegen. Bei den knappen Mehrheiten der Grünen in Saarbrücken für eine Zusammenarbeit mit der CDU hätte Orths Vergangenheit, mehr als vierzig Jahre nach seinem Tod, aktuelle politische Weichenstellungen verhindern können.

Schon die Diskussion über die Vergangenheit Orths an der Uni-Klinik Homburg hatte gezeigt, wie tief das "ehrende Gedenken" an einen Arzt, der sich "mit seiner Arbeit ohne Skrupel in den Dienst des Regimes gestellt" hat, so 1997 ein Professor der Uniklinik, aktuelles Handeln beeinflusst. Am Schwarzen Brett der Uni war das Plakat, das 1997 eine Diskussion zu den Zwangssterilisationen ankündigte, gleich dreimal entfernt worden.

 

[ document info ]
Copyright © Frankfurter Rundschau 2001
Dokument erstellt am 05.06.2001 um 21:36:26 Uhr
Erscheinungsdatum 06.06.2001
 

 

Ich danke der Frankfurter Rundschau für die freundliche Genehmigung einer Zweitveröffentlichung an dieser Stelle..


Zurück zum Anfang des Dokuments

Zur Diskussion um Prof. Dr. Oskar Orth

Zur Chronik der Ereignisse in Sachen Umbenennung der Oskar-Orth-Straße in Ensheim

Zu weiteren Ensheimer Ehrenbürgern

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Zur Mindmap

Zum nächsten Kapitel: "Das Ensheimer Schulwesen"



eMail an den Webmaster

© Paul Glass 1997 - 2001 ff

Update: 16. Juni 2001