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Extra-Info: Chronik der Diskussion um Prof. Dr. Oskar Orth


Der Hintergrund:

1922 - 1947   Dr. Oskar Orth ist Leitender Direktor des Landeskrankenhauses in Homburg (Saar)
23.03.1930 Zuerkennung der Ehrenbürgerschaft durch die Gemeinde Ensheim; in Homburg Verleihung des Professorentitels
14.07.1933 Inkrafttreten des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14.Juli 1933
13.01.1935 Saarabstimmung: Die Saarländer bekennen sich mit sehr großer Mehrheit zu Nazi-Deutschland.
1935 - 1939   Prof. Dr. Orth  unterzeichnet fast alle OP-Protokolle für über 1.400 Zwangssterilisationen auf der Basis des Eugenik-Gesetzes und übernimmt insofern die medizinische Verantwortung. In etlichen, zahlenmäßig noch nicht genau erfassten Fällen operiert er auch selbst.
15.06.1946 Offizielle Verleihung der Ehrenbürgerwürde durch die Gemeinde Ensheim zum 70. Geburtstag von Prof. Dr. Orth
15.08.1946 Entnazifizierung von 8 Homburger Dozenten, darunter Dr. Orth,  nach langen Verhandlungen zwischen dem Regierungspräsidium und der Ärztekammer einerseits und Colonel Springer, Militärgouverneur Grandval und den französischen Dienststellen in Baden-Baden: Entbindung von Prof. Orth als Leiter der Homburger Hochschulkurse von seinem Lehrauftrag
01.01.1947 Pensionierung von Prof. Dr. Orth (Laut SLZ vom 13.8.1958 jedoch erst am 31. Aug. 1947).
1947 Prof. Dr. Orth ist Mitgründer der Universitätsklinik Homburg.
1947 Verleihung der Ehrenbürgerschaft seitens der Stadt Homburg
19.04.1948 Einstimmiger Beschluss des Ensheimer Gemeinderates, die Spital-Straße, die zum ehemaligen Adt'schen Krankenhaus führt, nach Prof. Orth zu benennen.
1957 Verleihung des großen Bundesverdienstkreuzes an Prof. Dr. Orth
19.08.1958 Prof. Dr. Orth stirbt hochgeehrt in Ensheim und wird auf dem Ensheimer Friedhof beerdigt. Die Gemeinde Ensheim übernimmt seine Grabpflege als Ehrendienst. Nach der Eingemeindung nach Saarbrücken fällt diese Aufgabe der Stadt Saarbrücken zu.
1980 Erstmalige Verleihung des mit 10.000 DM dotierten  Oscar-Orth-Preises durch die Stadt Homburg, der in der Folge alle zwei Jahre an Nachwuchsmediziner verliehen wird, die durch hervorragende Leistungen auf sich aufmerksam gemacht haben.

Der Verlauf der Diskussionen um Prof. Dr. Orth

1992 Der Historiker Christoph Braß fertigt seine Magisterarbeit mit dem Thema "Zwangssterilisationen im Saarland während des Dritten Reiches". Eine Zusammenfassung seiner Arbeit erscheint Anfang 1993 unter dem Titel Rassismus nach innen - Erbgesundheitspolitik und Zwangssterilisation in der Reihe Braune Jahre - wie die Bevölkerung an der Saar die NS-Zeit erlebte (Beiträge zur Regionalgeschichte. 14)
1993 Auf der Basis dieser beiden Publikationen: Beginn der öffentlichen Diskussion über Zwangssterilisationsverfahren im Saarland und insbesondere die Verstrickung Prof. Orths als Leiter des Homburger Landeskrankenhauses in dieselben. Diese Diskussion findet vor allem in Homburg statt.
Dez. 1993 Einstimmiger Beschluss des Sport-, Jugend- und Kulturausschusses der Stadt Homburg: vorläufige Umbenennung des Oscar-Orth-Preises in Wissenschaftspreis der Stadt Homburg.
März 1994 Die direkte Beteiligung von Prof. Dr. Orth an Zwangssterilisationen wird erstmals nachgewiesen.
1994 Die Personalakte Dr. Orths ist nicht auffindbar!
24.06.1997 Diskussionsabend in der Universitäts-Frauenklinik Homburg zum Thema "Oscar Orth - Zwangssterilisation am LKH"
03.07.1997 Stadtratssitzung u.a. über den Fall Dr. Orth. (Auf Antrag der SPD-Fraktion) Entscheidung, die Oscar-Orth-Straße in Kirrberger Straße umzubenennen (Ergebnis der von der CDU beantragten geheimen Abstimmung: Für die Umbenennung: 27; dagegen: 19; Enthaltungen: 3)
14.10.1998 Erster Hinweis auf die in Ensheim kursierenden Gerüchte über Dr. Orth und seine Aktivitäten im 3. Reich im Ensheim Online Lexikon (EOL) - allerdings irreführend unter dem Buchstaben D (wie Dr. Orth)
13.10. 2000 Beginn der kritischen Berichterstattung der Saarbrücker Zeitung, insbesondere der Journalistin Michèle Hartmann, über Dr. Orth, seine Aktivitäten im Zusammenhang mit den Zwangssterilisationen in Homburg und die nach ihm benannte Straße in Ensheim
November 2000 Empfehlung des Saarbrücker OBs an den Bezirksrat Halberg, die Oskar-Orth-Straße umzubenennen; gleichzeitig Beginn einer monatelangen Leserbriefdiskussion in der Saarbrücker Zeitung
27.01.2001 Die Bezirksbürgermeisterin des Bezirks Halberg, Anette Hübinger, erklärt, die Verfehlungen von Prof. Dr. Orth seien "nur eine winzige Facette seines Lebens" und erntet für diese Verniedlichung deutliche Kritik in der Presse.
07.03.2001 Mehrheitsentscheidung des Bezirksrates Halberg gegen den Antrag der SPD auf Umbenennung (Für eine Umbenennung: 9 SPD; dagegen: 10 CDU, 1 FDP, 1 Parteiloser). Ein Antrag der CDU, den Straßennamen bis zur endgültigen Klärung des Verschuldens von Dr. Orth beizubehalten und die am Rathaus in Ensheim angebrachte Ehrentafel mit dem  zusätzlichen Hinweis "Große Verdienste um den Aufbau der Universitätsklinik Homburg - Wird mit Zwangssterilisationen in Homburg (1935 - 1939) in Verbindung gebracht"  zu versehen, wird mehrheitlich angenommen. 
Ein kritischer Kommentar der SZ-Journalistion Michèle Hartmann löst eine Welle von Leserbriefen an die SZ aus.
02.04.2001 Leserbrief des Historikers Christoph Braß in der SZ: Verwahrung gegen die durch Frau Hübinger vorgenommene Fehlinterpretation und Klarstellung seiner Arbeitsergebnisse und Appell an die Ensheimer CDU und seine Parteifreunde, auch einmal an die Opfer zu denken
Anfang April 2001 Diskussion über die Oskar-Orth-Straße im Saarbrücker Stadtrat; Verabschiedung einer Resolution, in der der Bezirksrat Halberg aufgefordert wird, über die Umbenennung der Oskar-Orth-Straße nochmals zu beraten. Auszug der meisten CDU-Mitglieder aus der Kongresshalle während der Begründung des Antrags
09.05.2001 Auf Antrag der SPD erneute Diskussion in Sachen Dr. Orth im Bezirksrat Halberg, aber keine Revision der Entscheidung vom 7. März durch CDU und den parteilosen Ex-Grünen Escher: die Oskar-Orth-Straße wird nicht umbenannt, weil die CDU kein Jota von ihrer Position abrückt.
18.05.2001 Erneute Veröffentlichung in der SZ über den Fall Orth, diesmal mit detaillierten Informationen aus der Doktorarbeit eines von Orth betreuten Oberarztes des LKH, Karl Strouvelle,  aus dem Jahr 1939. Obwohl diese Informationen bereits seit der Magisterarbeit von Braß aus dem Jahr 1992 bekannt sind, bringen sie Bewegung in die festgefahrenen Positionen.
25.05.2001 Überraschende "Empfehlung" des Vorsitzenden der CDU-Stadtratsfraktion, Gerd Bauer, an die CDU-Mitglieder im Bezirksrat Halberg, der Umbenennung der Oskar-Orth-Straße nun doch zuzustimmen. Vorschlag, die Straße nunmehr nach dem aus Ensheim stammenden Afrika-Missionar Pater Klein zu benennen. Vermutlicher Hintergrund des Sinneswandels: die nach den Kommunalwahlen mit den Grünen angestrebte Koalition der CDU mit den Grünen, für die die Umbenennung der Straße ein Muß ist.
Ende Mai 2001 Ausweitung der Diskussion wegen der Ehrenbürgerschaften auch auf die NS-Größen, die noch immer auf der Liste der Saarbrücker Ehrenbürger stehen
30.05.2001 Diskussion über Oskar Orth beim Runden Tisch gegen Extremismus, für ein tolerantes Saarland bei der Synagogengemeinde Saar in Saarbrücken; Teilnahme des Historikers Christoph Braß und von Mitgliedern des Bundes der Euthanasie-Geschädigten und Zwangssterilisierten e.V.
Ende Mai 2001 Offener Brief des Pfarrgemeinderates St. Peter, Ensheim an den Bezirksrat und die Bezirksbürgermeisterin Hübinger (CDU): die Interessenvertretung von rund 3000 Ensheimer Katholiken billigt in der sehr schwammig gehaltenen Erklärung offenbar den Verzicht auf eine Umbenennung und sieht "in der Beibehaltung des Straßennamens eine Mahnung, sich mit den Schattenseiten der Ensheimer Geschichte und seiner Bürger zu beschäftigen".
02./03.06.2001 Erklärung des saarländischen Finanzministers und CDU-Kreisvorsitzenden Saarbrücken-Stadt, Peter Jacobi: Er plädiert - in "Abstimmung" mit der Bezirksbürgermeisterin Hübinger (!) - für einen Verzicht auf den Straßennamen Oskar-Orth-Straße. Frau Hübinger wird so zur 180 Grad-Wende veranlasst, eine politische Desavouierung, die in der Saarbrücker lokalpolitischen Szene ihresgleichen sucht.
06.06.2001 Erste überregionale Berichterstattung über den Fall Dr. Orth in der Frankfurter Rundschau
09.06.2001 Meldung in der SZ, wonach nun auch die Bezirksbürgermeisterin des Bezirks Halberg, Anette Hübinger, bereits sei, einer Umbenennung der Oskar-Orth-Straße zuzustimmen. Terminierung der nächsten Bezirksratssitzung auf den 8. August 2001. Die "Botschaft" der CDU-Oberen Bauer und Jacobi ist also angekommen...
15.06.2001 Zwischenruf von Michael Kinnen , gesendet im SR 1, Europawelle Saar.
Juli 2001 Werner Brill, der Leiter des Adolf-Bender-Zentrums in St. Wendel, veröffentlicht in den saarbrücker heften 85 den Beitrag Im Dienste der Eugenik. Das Schauerspiel um den Mediziner Oscar Orth.
01.08.2001 Der Vorsitzende der Geschichtswerkstatt Ensheim, Erich Wolf, schaltet sich mit einer Verlautbarung im Blädche in die öffentliche Debatte ein und legt dabei keinerlei Wert auf parteipolitische Unabhängigkeit. Er stellt in seiner Eigenschaft als Leiter der Geschichtswerkstatt und als Vorsitzender des FDP-Ortsverbandes fest, dass er nach wie vor gegen eine Umbenennung ist und dass das FDP-Bezirksratsmitglied Thomas Escher in der Sitzung am 8. August gegen den Antrag der SPD stimmen wird - ein Skandal, die Geschichtswerkstatt derart im parteipolitischen Sinne zu instrumentalisieren!
07.08.2001 Presseerklärung der CDU Ensheim zum Thema "Umbenennung der Oskar-Orth-Straße"
08.08.2001 Sitzung des Bezirksrates Halberg: Erneuter SPD-Antrag zur Umbenennung der Oskar-Orth-Straße in Ensheim. Ergebnis: Von 17 anwesenden Bezirksbeigeordneten stimmen 13 dafür (8 SPD, 5 CDU) bei einer Gegenstimme (Thomas Escher, FDP) und 3 Enthaltungen (alle CDU). Trotz dieser Mehrheitsentscheidung endet die Sitzung mit einem Eklat: Als die Bezirksbürgermeisterin Hübinger eine persönliche Erklärung über bereits 1997 vorliegende Informationen in den Reihen der Saarbrücker SPD entgegen der Regularien des Bezirksrates nach der Beschlussfassung zur Straßenumbenennung verliest, verlässt die SPD geschlossen die Bezirksratssitzung. Eine heiße Frage bleibt zurück: Warum hat die SPD nach dem 4. Juli 1997 weder im Bezirksrat Halberg noch in der Stadtratsfraktion die Initiative ergriffen, um die Oskar-Orth-Straße (wie kurz zuvor in Homburg) umzubenennen? 
10.08.2001 Der Saarländische Rundfunk sendet ein ausgezeichnetes Feature der Rundfunkjournalistin Anke Schäfer mit dem Titel Vertuschungsgeschichte. 
?.08.2001 In einer weiteren Bezirksratssitzung wurde die frühere Oskar-Orth-Straße in Alte Spitalstraße umbenannt. Dieser neuerliche Änderung war notwendig geworden, weil es im Bezirk Halberg bereits eine Spitalstraße gibt.
04.10.2001 Der SZ-Redakteur Dieter Gräbner kritisiert in einem neuerlichen Artikel, dass das Straßenschild noch immer nicht ausgetauscht worden ist. 
26.10.2001 Das neue Straßenschild Alte Spitalstraße ist angebracht und kündet vom Ende der Oskar-Orth-Affäre.

Ich danke Christoph Braß, Stuttgart und Roland Schmitt, Eschringen für die freundliche Bereitstellung von Unterlagen.


Quellen: 


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Update: 10. Oktober 2001