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5.5 Ensheimer Quellen online (1)


Jakob Grentz: 

Ensheim vor 60 Jahren. Bilder aus dem hinterpfälzischen Dorfleben. Forbach 1894


[Das Flachsbrechen]


Die Frauen und Mädchen richten ihre Winterarbeit her. Zu dem Zwecke haben sie mit Sicheln den auf die Wiesen zum "Rosten" ausgebreiteten Hanf und Flachs auf und stellen denselben einige Zeit in "Putschen", damit er von der durchziehenden Luft vollends austrocknet und zum "Brechen" hergerichtet ist. Das Brechen ist ein wichtiges Geschäft und geschieht vor dem Dorf auf einer "Brechkuhl". Nur geübte, vorsichtige Frauen werden dazu genommen, und namentlich wird das Dörren der Gespinnspflanzen über dem aus soliden "Spällern" von Buchenholz bereiteten Feuer nur bewährten Händen anvertraut, da beim geringsten Versehen alles in Flammen aufgeht. Auf das Brechen folgt das "Klammen" und "Schwingen", sodann das "Klopfen" und "Hecheln". Beim Hecheln wird das feine Gespinst vom gröberen gesondert. Letztes heißt "Werg", und den Abgang an Fasern beim Klammen und Schwingen nennt man hier "Osingen" und benützt ihn zu den gröbsten Gespinsten. Die unter der Klamm und Breche liegenden Stengelreste des Hanfes und Flachses nennt man auch "Ahnen" oder auch "Acheln", und sie werden weiter nicht benützt oder verwertet.

Auf der Brechkuhl wird, wie man sich leicht denken kann, soviel "gerätscht", dass es eine Lust ist zuzuhören. Da wird mancher und auch manche so gründliche durch den "Hechel gezogen", dass es den Betreffenden grün und gelb vor den Augen werden würde, wenn sie alles hören könnten, was von ihnen gesprochen wird.

Eine sonderbare Sitte auf der Brechkuhl war das "Hohwenzeln". Jeder Verübergehende wurde von vier der stärksten "Brecherschen" an den Schultern und Füßen gefasst und waagerecht schwebend über den Boden gehalten, wobei die schönste und jüngste in der Gruppe dreimal unter ihm hindurch schlupfen und ihn ebenso oft küssen musste. Zum Schlusse wurden dem Gehohwänzelten mit einer Handvoll Abfall die Stiefel abgerieben, wofür er dann ein Trinkgeld zu entrichten hatte. Man konnte aber auch mit den Brecherschen unterhandeln und sich vom Hohwenzeln loskaufen.

Von diesem ist jetzt [1894; PG] wenig mehr zu sehen. Das schöne Wort: "Selbstgesponnen, selbstgemacht / ist des Bauern schönste Tracht!" hat heute wenig Geltung mehr. Hanf und Flachs werden nicht mehr angebaut, und die Mädchen und Frauen haben das Spinnrad verlernt. Die Spinnstubenpoesie hat aufgehört, und mit ihr ist eine der schönsten Seiten des Volkslebens verschwunden. Der Vorwurf, dass durch die Spinnstuben die Moral und Sittlichkeit untergraben werden, trifft nur ausnahmsweise einige solche, wo der Haushaltungsvorstand selbst nichts wert war, und ist in viel schärferem Maße den heutigen gesellschaftlichen Vergnügungen zu machen, die in den Dörfern und Städten an die Stelle der Spinnstuben getreten sind. Das Verschwinden von Hanf und Flachs aus der Bauernstube ist sehr zu bedauern, man kann dagegen einwenden, was man will. Trotzdem dass man jetzt, [wie man; PG] oft sagen hört, die Leinwand billiger kaufen kann, als man sie selbst erzeugt, so sieht man dennoch nicht mehr die Schränke mit Leinwandstücken angefüllt, die früher der Stolz der Hausfrauen waren. In dieser Hinsicht waren die alten Zeiten besser als die heutigen!


Extra-Surftipps zum Thema "Flachsbrechen:

    Frauen beim Flachsbrechen

    Geschichten und Märchen über Flachs und Leinen

    Projektunterricht der RHS im Schuljahr 1998/99 zum Thema Lein/Flachs



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Last update: 21.09.2001