seit Februar 1997 online ...

Home / Die Ensheimer Geschichte im Überblick / Ensheim im 20. Jahrhundert


2.4.4 Ensheim und die "Fronnsoose'zidd" (1945 - 1955/57)

Nach der Besetzung des Saargebietes durch amerikanische Truppen im März 1945 gelangte Ensheim unter die Herrschaft einer amerikanischen Militärregierung. Zu diesem Zeitpunkt war über die endgültige Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen noch nicht endgültig entschieden. Noch vor dem offiziellen Kriegsende richteten die US-Amerikaner  am 4. Mai 1945 eine deutsche Zivilverwaltung ein, angeführt von einem Regierungspräsidium unter Dr. Neureuter in Saarbrücken. Für kurze Zeit wurde das Saargebiet dem Oberregierungspräsidium Mittelrhein-Saar in Neustadt an der Weinstraße untergeordnet.

Nachdem sich die Briten bereits auf der Konferenz in Jalta im Februar 1945 sehr dafür eingesetzt hatten,  Frankreich, das 1940 in sehr kurzer Zeit von Deutschland besiegt worden war und eine nationale Schmach sondergleichen erlitten hatte, an der Verwaltung des besiegten Dritten Reichs zu beteiligen, war es dann am 10. Juli des gleichen Jahres soweit: die Amerikaner übergaben das Saargebiet und die Pfalz an die Franzosen, die Ende des Monats General König als Oberbefehlshaber ihrer Zone und im August 45 Oberst Grandval als eine Art Gouverneur des Saarlandes einsetzten.  französischen Besatzungszone. Wieder mal Franzosen in Ensheim! Wie schon mehrfach  in den 300 Jahren zuvor!

.

Das Saarland wurde sofort zu einer selbständigen verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Einheit erklärt und erhielt somit wieder einen Sonderstatus (Karte, 75 KB). Wieder einmal betrieb Frankreich, geleitet von massiven Wirtschaft- und Sicherheitsinteressen, die Loslösung des Saargebietes von Deutschland. Noch im Jahre 1945 wurden die Saargruben unter Sequester und zu Beginn des Jahres 1946 unter französische Verwaltung gestellt. 

Bei den Verhandlungen der Potsdamer Konferenz im Juli und August 1945 wurden zwischen den "Großen Drei" (Truman, USA; Churchill, später: Attlee, GB und Stalin, UdSSR) wie schon auf der Jalta-Konferenz vereinbart, dass das besiegte Nazi-Deutschland unter anderem vollständig entnazifiziert werden sollte. Obwohl Frankreich nicht an dieser Konferenz teilgenommen hatte, war es als Besatzungsmacht daran interessiert, die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz so weit umzusetzen, wie das für die eigenen politischen Interessen in Deutschland dienlich schien

 

Die Entnazifizierung im Saarland ist inzwischen gut erforscht; für Ensheim hingegen gibt es noch keine konkreten Forschungsergebnisse. Seit 2002 unternehme ich den erneuten Versuch, die letzten noch lebenden Zeitzeugen zu befragen, um mehr Licht in dieses lokalhistorische Dunkel zu bringen.

Edwin Weinmann und Kurt Legrum schreiben in ihrer Publikation Blieskastel im Nationalsozialismus, S. 166 f:

Um das besiegte Deutschland vom Nationalsozialismus zu säubern, verbot der alliierte Kontrollrat zunächst die NSDAP, ihre Gliederungen sowie die sonstigen nationalsozialistischen Verbände und setzte die NS-Gesetze außer Kraft. Darüberhinaus sollte jeder Deutsche ab 18 Jahre auf seine poltische Vergangenheit hin überprüft werden. Deshalb mußte die Bevölkerung seitenlange Fragebögen ausfüllen, mit denen bis ins Detail nach ihrer Nazivergangenheit geforscht wurde. Wer durch die Mitgliedschaft in der Partei oder ihren Untergliederungen belastet war, konnte sich im Entnazifizierungsverfahren dadurch entlasten, daß er seine ablehnende Haltung gegen das NS-Regime belegte. Dies geschah in der Regel durch die Vorlage sog. 'Persilscheine'. Das waren Bescheinigungen, in denen man sich etwa durch einen bekannten Antifaschisten oder den Ortsgeistlichen seine ablehnende Haltung gegenüber dem Regime bestätigen ließ. Mehr als ein kleiner Mitläufer wollte jetzt auf einmal keiner mehr gewesen sein; umgedichtete Lebensläufe und falsche Angaben waren an der Tagesordnung. Bei allen Behörden wurden Säuberungen durchgeführt und anstelle der früheren Nazis ortsbekannte Antifaschisten oder politisch unbelastete Personen eingesetzt. Während die Amerikaner zunächst nach der Kollektivschuld-These auch kleine Mitläufer bestrafen wollte, waren die Franzosen eher geneigt, solche Personen weiterzubeschäftigen, um den Dienstbetrieb bei den Verwaltungen und Behörden überhaupt aufrechterhalten zu können.

Und sie ziehen (op. cit., 167) das traurige Fazit:

Insgesamt muß die Entnazifizierung aus heutiger Sicht als politischer Fehlschlag der Alliierten angesehen werden. Sie führte in der Bevölkerung wieder zu Gesinnungsschnüffelei und Denunziantentum und hinterließ den Eindruck, wieder einmal würden überwiegend die Kleinen belangt und die Großen seien wieder davongekommen.

Dass die Entnazifizierung ein Fehlschlag war, wurde auch im Jahr 2001 anlässlich der öffentlichen Debatte um die Beteiligung des Ensheimer Ehrenbürgers Prof. Dr. Oskar Orth, bis dahin in Ensheim ein sehr geachteter Mann, an mehr als tausend Zwangssterilisationen im Landeskrankenhaus Homburg zwischen 1935 und 1939 deutlich: Obwohl Orth Parteigenosse und Mitglied im NS-Ärztebund war und er sich ohne eine gewisse Patronage der Nazis in diesem Amt wohl kaum hätte halten können, wurde er 1946 ohne Schwierigkeiten von der französischen Besatzungsmacht entnazifiziert. Und wie ihm ging es offenbar vielen, zumal die NS-Täter erheblich von dem seit 1946/47 beginnenden Ost-West-Konflikt bzw. Kalten Krieg profitierten und in den meisten Fällen nicht für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen, geschweige bestraft wurden.

Wie an anderer Stelle bereits vermerkt, waren die Franzosen von Anfang an daran interessiert, eine strikt an den französischen Interessen ausgerichtete Besatzungspolitik im Saarland durchzuführen. So wurde bereits am 15. Dezember 1947 eine spezielle Verfassung für das Saargebiet verabschiedet.

Obwohl Frankreich auf eine direkte Annexion vorläufig verzichtete, wurde die wirtschaftliche Kontrolle des Landes von Anfang an konsequent realisiert. Für die Ensheimer bedeutete dies u.a. 1947 die Übernahme des französischen Franken nach einer kurzfristigen Zwischenlösung mit einer speziellen Saarmark. Die Franzosen widmeten der Wirtschaftsförderung ihr spezielles Augenmerk, denn sie verstanden dies sicher auch als Werbung für ihre noch nicht aufgegebene Anschluß-Lösung. So ging es auch in Ensheim mit der Wirtschaft allmählich voran: die Ortschronik berichtet z.B. von rund 200 Arbeitsplätzen in den Firmen Gebr. Schmidt und dem Saarländischen Röhrenwerk schon im Jahre 1951. Auch soziale Aspekte wurden während der "JoHo-Zeit" nicht vernachlässigt; so wurde z.B. der Wohnungsbau stark vorangetrieben: Zwischen 1948 und 1952 wurden von den Mitgliedern des Kettelervereins 52 neue Häuser erstellt, u.a. die sog. "Kettelersiedlung" im Südwesten des Ortes (in der übrigens auch der Autor dieser Homepage geboren wurde und aufwuchs!).

In den 50er Jahren ist auch ein starker Bevölkerungsanstieg zu beobachten, teils durch verstärkten Zuzug, teils aber auch durch außerordentlich hohe Geburtenraten z.B. (84 Geburten im Jahr 1958)! Auch der Verfasser ist ein Kind dieser Zeit...

Die politischen Absichten der Franzosen sollten langfristig nicht aufgehen: zu stark war die Bindungen an Deutschland und an das Deutschtum. Das in den Pariser Verträgen von 1954 zwischen Deutschland und Frankreich beschlossene Saarabkommen (Autonomie des Saargebiets unter Kontrolle der WEU, was einer Europäisierung der Saar entsprochen hätte) wurde zum Gegenstand einer Volksabstimmung gemacht: am 23. Oktober 1955 lehnten 2/3 der an der Wahl beteiligten Saarländer das Saarabkommen ab und stellten so die Weichen für eine baldige Angliederung an Deutschland.

Am 1. Januar 1957 war es dann so weit: das Saarland, und damit auch Ensheim, waren wieder deutsch!


Literatur:


Top | Inhaltsverzeichnis | Nächstes Kapitel: "Ensheim und der Verlust der Selbständigkeit (1974)"


Last update: 27.01.2002                            © Paul Glass 1997 - 2002 ff