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Ensheim und die Saarabstimmung


Im Versailler Vertrag von 1919 wurde u.a. bestimmt, daß  das Saargebiet für die Dauer von 15 Jahren unter die Verwaltung des Völkerbundes ( Karte, 75 KB) gestellt wird.  Den östlichen Teil des neugeschaffenen Saargebietes bildete die Saarpfalz, die vom früheren Königreich Bayern abgetreten werden musste. (Karte, 218 KB)

Nach den Regelungen im Versailler Vertrag wurde die Volksabstimmung der Saarländerinnen und Saarländer über ihre politische Zukunft im Jahr 1935 fällig.

Schon Jahre vorher ließ die saarländische Bevölkerung, auch in Ensheim,  keine Gelegenheit aus, ihr Deutschtum zu demonstrieren. Seit Dezember 1931 gab es auch in Ensheim eine Ortsgruppe der NSDAP. Als Parteilokal wurde die Gastwirtschaft Bischof  auserkoren. Wie die Ortschronik von Helmut und Alexander Wilhelm berichtet, war es zunächst "nur eine kleine Gruppe von 14 bis 18 Leuten, die mit dem ihr eigenen Fanatismus ihr weitgestecktes Ziel nicht aus den Augen verlor, jedoch noch weitgehend im Untergrund bzw. Hintergrund blieb." (S. 72)

Erst nach der Machtübernahme der NSDAP im Reich 1933 wuchs auch die Ortsgruppe in Ensheim, die voller Begeisterung in den von der Partei propagierten "Kampf um die Saarabstimmung" einstieg - allerdings, wie andernorts auch, unter dem Deckmantel der "Deutschen Front"! Nur wenige, wie der damalige Ensheimer Pfarrer Franz, warnten nachdrücklich vor dem Nationalsozialismus. Die Befürworter der Status-Quo-Lösung trugen mit viel Mut täglich die sog. "Status Quo-Zeitungen" aus, um für diese Abstimmungsvariante zu werben. Aber sie blieben hoffnungslos in der Minderheit. So war auch vorhersehbar, wie sich die Ensheimer bei der Volksabstimmung am 13. Januar 1935 entscheiden würden: für den Anschluß an Deutschland! Ausgestattet mit einem speziellen Abstimmungsausweis begaben sich die wahlberechtigten Saarländer, die an der Abstimmung teilnehmen wollten, in das ihnen zugewiesene Wahllokal. Sie konnten ihre Stimme zwischen 8.30 Uhr und 20 Uhr abgeben. 

Abstimmungsausweis aus Bischmisheim (Rekonstruktion)

Die Abstimmung in den Wahllokalen wurde jeweils international überwacht. Die Ensheimer stimmten in fünf Wahllokalen ab:

Vorsitzender des Gemeindeausschusses war der Däne C. A. Bull. Nach der Abstimmung wurden die Urnen versiegelt und diese durch englische Soldaten nach Saarbrücken gebracht, wo sie unter ebenfalls internationaler Aufsicht ausgezählt wurden.

Das Ergebnis der Abstimmung bot keine Überraschung:  90,4 % der 2868 wahlberechtigten Ensheimer hatten für die Vereinigung des Saargebietes mit dem Reich gestimmt! Nur 8,8 % waren für den Status Quo; lediglich 22 Ensheimer (= 0,8 %) waren für den Anschluss an Frankreich! Damit hatten die Ensheimer fest genauso abgestimmt wie die wahlberechtigten Saarländer insgesamt:

 

Abstimmungsergebnis
im Saargebiet

Abstimmungsergebnis
in Ensheim

Für den Status Quo (also den bestehenden Zustand: Selbstständigkeit unter Aufsicht des Völkerbundes) 8,8 % 8,8 %
Für die Vereinigung mit Frankreich 0,4 % 0,8 %
Für die Vereinigung mit Deutschland 90,8 % 90,4 %

Die Ortschronik berichtet über die Siegesfeier:

Nach der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses am 15. Januar 1935 herrschte größte Begeisterung im Dorfe. Im Nu erschienen überall die neuen deutschen Fahnen, und die Häuser waren in kurzer Zeit geschmückt wie sonst nur an Fronleichnam."

Diese Nazi-Euphorie großer Teile der Ensheimer Bevölkerung, symbolisch sichtbar in Gestalt vieler Hakenkreuzfahnen, ist im Bildband der Geschichtswerkstatt auf den Seiten 258 - 261 durch eine Reihe zeitgenössischer Fotos gut dokumentiert. 

Ein mit Hakenkreuzfähnchen geschmücktes Auto
eines Ensheimer Fuhrunternehmers
auf seiner Jubeltour durch Ensheim

Nach dem Sieg machten sich die Nazi-Anhänger über ihre Gegner, insbesondere über die Status Quo-Leute lustig, indem sie den Status Quo, also die Selbstständigkeit des Saargebietes unter Aufsicht des Völkerbundes symbolisch zu Grabe trugen und dies in der Lokalpresse mit einer Todesanzeige zynisch untermalten:

Dieses Abstimmungsverhalten war aus heutiger Sicht der größte historische Fehler, den sich die Ensheimer fast in toto "geleistet" haben: ohne Not für Hitler zu stimmen und dies in voller Kenntnis der reaktionären Politik der Hitler-Diktatur. Alle, die für die Vereinigung mit Deutschland gestimmt haben, müssen sich ins Stammbuch schreiben lassen, dass sie sich ohne Zwang für Hitler-Deutschland entschieden haben, obwohl sie wussten, dass in Deutschland

Warum sollte es den Saarländern nun anders ergehen? Hat sich wirklich jemand eingebildet, Hitler würde sich den Saarländern gegenüber aus Dankbarkeit anders verhalten? Eigentlich kann das nicht sein: Jeder "Ja-Sager" muss sich bewusst gewesen sein, was er mit seinem Votum zur Rückgliederung auslösen wird. Die nationalistische "Deutschland-Besoffenheit" hatte offenbar den Verstand der meisten Ensheimer ausgeschaltet.

Tablett aus der Produktion der Firma Adt
(Sonderedition 1935 anlässlich der Saarabstimmung und der Rückgliederung des Saargebietes an Deutschland)


Quellen:


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Letztes Update: 18.04.2001                    © Paul Glass 1997 - 2001 ff