seit Februar 1997 online ...

Home / Die Ensheimer Geschichte im Überblick / Ensheim im 20. Jahrhundert / Ensheim während der Nazi-Diktatur (1935 - 1945) /


Ensheim - das gleichgeschaltete Dorf


Alle, die sich für Deutschland und damit für Hitler ausgesprochen hatten, wollten vor allem eines: Arbeit und soziale Sicherheit. Die meisten waren wohl nicht Mitglied der NSDAP, haben aber die Partei und ihren "Führer" kräftig unterstützt. Dennoch bekam die NSDAP auch in Ensheim großen Zulauf, vor allem nach dem Verbot der anderen Parteien. Niemand wollte offenbar sehen, was sich außenpolitisch, beginnend mit der Aufhebung der "Entmilitarisierung der Rheinlande" 1936, in Deutschland anbahnte! Niemand erkannte einen Zusammenhang zwischen Wehrdienst, Reichsarbeitsdienst, Bau des Westwalls und des neuen Ensheimer Flughafens und dem eigentlichen Ziel von Hitlers Außenpolitik, Krieg gegen seine Nachbarn zu führen, um das "Diktat von Versailles" zu zerreißen!

Auch in Ensheim wurden jetzt die kirchlichen und anderen Vereine beseitigt, ihr Vermögen eingezogen und die von der NSDAP abhängigen Gruppierungen neu gegründet und den alten und jungen Ensheimern schmackhaft gemacht: HJ, BDM, NS-Frauenbund usw. Auch in Ensheim wurde verdächtigt, denunziert; auch hier haben Leute von den Nazis profitiert - wenn es auch nach dem Krieg auf einmal nicht mehr wahr war! Ehemalige Hitlerjungen, BDM-Mädchen, Nazi-Funktionäre, ja, sogar Angehörige der Waffen-SS waren ziemlich schnell wieder ehrenwerte Leute ...

Die Ensheimer Ortschronik berichtet über die Entwicklung in Ensheim:

"(Es) blieb nicht aus, daß die NSDAP immer mehr Mitglieder bekam. Das Braunhemd der Uniform der SA und der politischen Leiter (oft als 'Goldfasane' bezeichnet) gehörten bald zum Straßenbild. Von nun an hing neben der deutschen Fahne auch die Hakenkreuzflagge..., die laut Verordnung mit dem 'deutschen Gruß' zu ehren war.

In der Folge bekam die NSDAP großen Zulauf, zumal die demokratischen Parteien verboten wurden. Bald mußten auch die kirchlichen Verbände wie Sturmschar DJK, kath. Jünglingsverein, Marianische Kongregation, die bisher erfolgreich gewirkt hatten, ihre Tätigkeit einstellen. Ihre Fahnen und sonstigen Embleme wurden verboten und eingezogen. An ihre Stelle trat die NSDAP mit ihren paramilitärischen Gliederungen wie SA, Jungvolk, die Hitlerjugend HJ, der 'Bund deutscher Mädchen' BDM, der NS-Frauenbund usw. Die Jugend brauchte man eigentlich nicht sonderlich zum Beitritt zu bitten. Sport, militärischer Drill, Geländespiele und Zeltlager entsprachen der damaligen Einstellung der Jugend. Die Mädchen waren im BDM zusammengefaßt. Sie sollten nach der NS-Ideologie sich in den altgermanischen Tugenden der Frau üben. So war für die Freizeitgestaltung reichlich gesorgt. Die Stunden nach der Arbeit wurden von den Parteigliederungen in Beschlag genommen. Schulungsabende, sportliche vormilitärische Übungen, Aufmärsche und Kundgebungen lösten sich ab." (S. 74f)

Die Innenpolitik der NSDAP wurde ganz in den Dienst der außenpolitischen Ziele gestellt. Ermuntert durch die freiwillige Rückkehr der Saarländerinnen und Saarländer ins Deutsche Reich, hatte Hitler bereits am 16. März 1935 durch seinen Propagandaminister Goebbels die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht verkünden lassen - ein klarer Bruch des Versailler Friedensvertrages und ein deutliches Zeichen für die beginnende Militarisierung der deutschen Gesellschaft. Auch sie wirkte sich in Ensheim aus, worüber die Ortschronik (S. 75) berichtet:

»Damit hatte auch die Stunde der wehrpflichtigen jungen Männer geschlagen. Von nun an konnte man häufig die 'Ziehungsbuwwe' singend von der Musterung heimkehren sehen. Untauglich für den Wehrdienst zu sein wurde als großes Unglück und als nicht vollwertig zu sein empfunden. Zu gleicher Zeit wurde auch der Reichsarbeitsdienst als Vorstufe für den Wehrdienst ins Leben gerufen. In kurzer Zeit hatte man auf diese Weise die Arbeitslosen von der Straße gebracht, und die meisten glaubten an die Parolen von wiedergewonnener deutscher Weltgeltung, und man war stolz, ein Mitglied dieses Reiches zu sein. Als aber 1937-39 ... mit dem Bau des Flughafens und des Westwalls (begonnen wurde), machten sich immer mehr Menschen unseres Ortes ihre eigenen Gedanken und erinnerten sich eines Wahlspruchs früherer Jahre: ' Wer Hitler wählt, wählt den Krieg.' Diese Gedanken laut zu äußern, war gefährlich und wer es dennoch tat, machte Bekanntschaft mit der 'Gestapo'. Unter diesen Umständen waren Spitzeltum und Denunziantentum an der Tagesordnung.«

Das Leben der Menschen hatte sich in der Diktatur total geändert, auch in Ensheim, worüber die Ortschronik (S. 75) schreibt:

»So war das ganze Leben von der Partei bestimmt, im Betrieb und in der Freizeit. Wurde Hilfe bei der Ernte gebraucht, wurden Leute zum Ernteeinsatz bestimmt. Dazu gehörte auch das Absuchen der Kartoffelfelder nach Kartoffelkäfern, ebenso wie das Sammeln von Bucheckern zur Herstellung von Speiseöl. Wer sich drückte vor diesen Arbeiten, bekam einen Strafbescheid, der zugleich eine Geldbuße beeinhaltete.«

Auch die Wirtschaft in Deutschland wurde gleichgeschaltet. Die Unternehmenschefs waren jetzt "Betriebsführer" und hatten sich den wirtschaftspolitischen Zielen der nationalsozialistischen Regierung unterzuordnen. Dies war beispielsweise auch bei der Ensheimer Firma Adt der Fall. Ein Bilddokument anlässlich der Feier zum 100-jährigen Firmenjubiläum 1939 macht deutlich, wie stark die nationalsozialistische Symbolik übernommen wurde: Die Festbühne ist im Hintergrund durch vier übergroße Hakenkreuzfahnen geschmückt, in der Mitte ist der Anlass der Feier dokumentiert "100 Jahre ADT Ensheim", durch weitere drei Hakenkreuze links, oben und rechts dekoriert. Eine auch wie immer geartete Distanz zum Nationalsozialismus zeigt dieses Foto leider nicht!

 (Quelle: Geschichtswerkstatt Ensheim (Hg.): Ensheim im Bild, Band 1. Ensheim [1998], S. 272)

Besondere Beachtung verdient auch das Verhältnis der katholischen Kirche zur NS-Diktatur. Bereits 1933 hatte die von Hitler geführte Reichsregierung mit dem Vatikan ein Konkordat geschlossen, das die Beziehungen zwischen Kirche und Staat in Deutschland regeln sollte. Die Kirche erhoffte sich von diesem Vertrag eine gewisse Rechtssicherheit vor Übergriffen der atheistischen NS-Ideologen, der NS-Staat versprach sich ebenfalls Vorteile hinsichtlich einer möglichst reibungslosen  Durchdringung der katholischen Bevölkerungskreise mit der nationalsozialistischen Ideologie.

Dennoch ließen die Übergriffe das NS-Staates auf Vertreter der katholischen Kirche oder kirchliche Institutionen, Vereine und Verbände nicht lange auf sich warten, denn eine wie auch immer geartete kirchliche Selbstständigkeit vertrug sich in den Augen der Machthaber nicht mit dem Anspruch, die gesamte Gesellschaft gleichzuschalten. Die Ensheimer Ortschronik berichtet (S. 75) darüber:

»Der Kampf gegen die Kirche wurde in dieser Zeit nicht vernachlässigt. Bewußt wurden die örtlichen Parteiveranstaltungen am Sonntag Vormittag angesetzt und diejenigen, die fernblieben, machten sich sehr verdächtig. Eine kirchliche Fahne an Fronleichnam zu zeigen, hatte den Besuch von Gestapobeamten zur Folge

Der damalige Papst Pius XI., den man wegen des mit Hitler geschlossenen Reichskonkordats schon damals international sehr kritisiert hatte, erkannte angesichts der diversen Schikanen und Verfolgungen gegenüber von Gläubigen, Priestern und katholischen Institutionen, dass das Konkordat möglicherweise ein Fehler war und reagierte am 14. März 1937 mit der Enzyklika Mit brennender Sorge, in der er erstmals Kritik am Nationalsozialismus und seiner Politik äußert. Diese Enzyklika wurde am 21. März 1937 in allen katholischen Kirchen von den Kanzeln verlesen. Welche Wirkungen es bei den Ensheimer Katholiken hinterlassen hat, ist nicht überliefert. Immerhin hat der NS-Staat auf die Veröffentlichung sogleich reagiert: Er hat die Gestapo angewiesen, wegen der "hochverräterischen Angriffe gegen den nationalsozialistischen Staat" alle inzwischen im Druck erschienenen Exemplare der Enzyklika zu beschlagnahmen.

NB:

Noch nicht untersucht ist die Rolle, die der Nachfolger des mutigen Pfarrers Franz, Pfarrer Alois Konrath [Pfarrer in Ensheim von 1935 bis 1967], während der NS-Diktatur gespielt hat. Nachdem sein Vorgänger wegen seines Kampfes gegen den Nationalsozialismus nicht nur bei der NSDAP, sondern auch bei seinem Bischof in Speyer in Ungnade gefallen war, drängt sich zunächst die Vermutung auf, dass Speyer als Nachfolger von Franz möglicherweise einen Priester nach Ensheim geschickt hat, von dem die Nationalsozialisten keinen Ärger zu erwarten hatten ... Dem war aber dann doch nicht so. Über Pfarrer Konrath wird in einer amtlichen Quelle* berichtet:

»Im Juli 1935 Verwarnung durch Gestapo wegen Anbringung eines 2 m großen, nachts beleuchteten Christuszeichens auf dem Turm der Kirche. Im Juni 1936 wurden an 18 Häusern des Ortes die anläßlich eines kirchlichen Festes ausgehängten Kirchenfahnen durch SA verbrannt. Im August 1936 Einbruch ins Pfarrhaus und Entwendung politischer Aufzeichnungen. erneute Verwarnung durch Gestapo. 1938 Schulverbot sowie 4 Wochen Predigtverbot. Insgesamt 3 Haussuchungen und 30 Vernehmungen durch Gestapo.«

* Der Text wurde mir am 26. Juli 2005 freundlicherweise vom Kath. Pfarramt Ensheim zur Verfügung gestellt; leider ohne Quellenangabe, aber die versuche ich noch zu ermitteln. 


Quellen:


Lesen Sie auch:


Top | Inhaltsverzeichnis | Mindmap | Nächstes Kapitel: Ensheim und die "Franzosenzeit"


Letztes Update: 26.07.2005                        © Paul Glass 1997 - 2005