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Home / Ensheimer Geschichte im Überblick / Ensheim im 19. Jahrhundert / Das Problem der Auswanderungen
Auswanderer auf Wanderschaft
Ausschnitt aus dem Titelbild der ausgezeichneten
Broschüre zum Thema Auswanderung
von Michael Landau und Martina Merks-Krahforst
(Aus dem ersten Bildabschnitt des Triptychons von Stefan Jäger)
Über die Geschichte der Auswanderungen im letzten Jahrhundert wurden schon viele Beiträge publiziert. Weniger gut erforscht ist hier der lokalgeschichtliche Aspekt, soweit er Ensheim betrifft.
Die ersten Auswanderungen aus Ensheim erfolgten schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Das damals beliebteste Auswanderungsziel war das Banat, das zu Österreich gehörte. Eine ganze Reihe von Auswanderern ist namentlich bekannt, oft, weil sie unterwegs in Ulm oder in Wien geheiratet und so Spuren hinterlassen haben. Ob auch Ensheimer schon zu dieser frühen Zeit nach Nordamerika ausgewandert sind, habe ich nicht herausfinden können.
Ensheim hatte, wie viele andere Gemeinden der Rheinpfalz, nach 1816 mehrfach mit Mißernten, Naturkatastrophen, Hungersnot und Massenelend zu kämpfen. Das erste Ziel von Auswanderungswilligen waren Polen und Rußland. Bereits 1816 beklagte der Ensheimer Bürgermeister Dercum die "Auswanderungssucht":
"Wie ein schleichendes Gift wirkt sie, nicht allein in den ärmeren, sondern auch in den mittleren Klassen hiesiger Landbewohner. Unerschwingliche Schuldenlast, durch welche das Vermögen einem einzigen Juden verpfändet und die harten Strafen wegen begangener Wald- und Wildfrevel sind die Gründe dieser Verblendeten; dann auch nach einer anderen Seite hin die sich vorspielende Hoffnung auf materielle Besserung in der Fremde, insbesondere die Gefilden Österreichs, Rußlands, Amerikas und Polens, bewegen nicht wenige, ihren vaterländischen Herd zu verlassen. Keiner scheint sich mehr zu erinnern, daß noch vor drei Jahren mancher seiner Anverwandten und Mitbrüder in jenen gegenden den fürchterlichsten Tod sterben mußte. Kaum hat heute einen dieser schwindel ergriffen, so verkauft er morgen Hab und Gut. Es ist notwendig diesem Übel ein Ziel zusetzen." (Wilhelm / Wilhelm, Ortschronik Ensheim, 109)
Im gleichen Jahr sah sich die pfalz-bayerische Landesadministration am linken Rheinufer gezwungen, eine spezielle Verordnung, die Auswanderungen betreffend in Speyer zu publizieren. Mit dieser Verordnung wollte man die jetzt offenbar immer stärker einsetzende Auswanderungsbestrebungen unterbinden.
Leider ist das Verzeichnis der Auswanderer der Jahre 1816/17 nicht mehr erhalten. Lediglich ein Reisepass vom 20. August 1816 ist in einer Abschrift erhalten geblieben: Damals wanderte Katharina Karren, ein 28jähriges Mädchen, Tochter von Johann K., Ackerer und Margaretha Blaes aus Ensheim, mit anderen Ensheimern nach Polen aus. Ihre Begründung spricht Bände:
Sie wandere aus, da "es unmöglich sei, in der jetzigen Lage herorts sich ernähren zu könen, weil die Fabrikation der Dosen durch die gegenwärtigen Zeitumstände gänzlich zu versiechen droht." (Wilhelm / Wilhelm, Ortschronik Ensheim, 110) |
Ein weiteres neues Auswanderungsziel in den 1820er Jahren war Brasilien. Ob auch Ensheimer nach Brasilien ausgewandert sind, habe ich bislang nicht ermitteln können; es ist aber durchaus denkbar.
Es scheinen aber viele Ensheimer gewesen zu sein, die infolge der lokalen Wirtschaftskrise auswanderten, weshalb 1826 vom Ensheimer Bürgermeisteramt eine weitere Verordnung, "Die Auswanderung nach Algier betreffend", nachgeschoben wurde:
es sei "darauf Rücksicht zu nehmen, daß der Auswanderungslustige weder der Gemeinde, noch dem Staate etwas an Steuern, Umlagen usw. schuldig sey; daß ferner das Zeugnis dem Friedensrichter vorzulegen sei, woraus ersichtlich sey, daß der Auswanderer keine Verbindlichkeit habe. Ferner ist anzuzeigen, wieviele Kinder die Familie habe unter Aufführung des Alters, bei den Söhnen, die sich im Conskriptionsalter befinden, die genauen Angaben des Geburtsalters." |
Auch in der zweiten Auswanderungswelle um 1840/50 , deren Ursache vor allem die Massenverarmung, der sog. Pauperismus gewesen ist, scheinen etliche Ensheimer ihre Heimat für immer verlassen zu haben. Von den Auswanderern, die mehrheitlich nach Nordamerika gingen, sind namentlich bekannt:
Weitere Auswanderungen erfolgten bis zur Jahrhundertwende:
Neben der Auswanderung spielte auch die Binnenwanderung für Ensheim eine nicht unwichtige Rolle. Wie Wilhelm / Wilhelm, op. cit., 113 berichten, scheint vor allem Nürnberg ein wichtiges Auswanderungsziel innerhalb Deutschland gewesen zu sein. Folgende Binnenwanderer werden von ihnen namentlich erwähnt:
Ein weiteres Ziel der Binnenwanderung war Forbach, wo die Firma Adt ein Zweigwerk unterhielt.
Erst mit dem wirtschaftlichen Aufstieg der Firma Gebrüder Adt, die nach 1840 immer stärker expandierte, ging die Zahl der Auswanderungswilligen aus Ensheim allmählich zurück, weil nun in Ensheim genügend Arbeitsplätze und damit Gelegenheiten zum Broterwerb zur Verfügung standen. In den folgenden Jahrzehnten gab es zwar immer wieder Auswanderungen aus Ensheim, aber diesen Bevölkerungsverlusten stand ein viel größere Zuwanderung gegenüber, wie es die Bevölkerungsentwicklung in der zweiten Jahrhunderthälfte verdeutlicht.
PS: Eine interessante Parallele ergibt sich in der heutigen Zeit. Das strukturschwache Saarland ist seit dem Niedergang der Eisen- und Stahlindustrie ab den 1970er Jahren nicht in der Lage, genügend qualifizierte Arbeitsplätze anzubieten. Das hat dazu geführt, daß immer mehr hoch qualifizierte Arbeitskräfte ihrer saarländischen Heimat den Rücken kehren mußten, um in anderen Teilen Deutschlands, vornehmlich in Baden-Württemberg eine Arbeit zu finden, die ihrer Ausbildung einigermaßen gerecht wurde. Eine moderne Binnenwanderung also.
Auch aus Ensheim mußten sich etliche Arbeitsemigranten auf den Weg ins "Reich" machen. Ob es nur eine Auswanderung auf Zeit ist, ist eher ungewiß.
Last update: 01.11.2015 © Paul Glass 1997 ff>